Krüptolocker (Kurzgeschichte)

„Du, hallo, das ist aber gut, dass ich dich mal wieder sehe. Ich weiß, lange nicht geredet, aber jetzt muss ich dir wirklich was erzählen, das wirst du nicht glauben. Also du weißt ja, ich bin nicht so der Architekt, hab‘ mein Haus nach Vorlage gekauft, mit Inneneinrichtung, die Garage auch, du verstehst. Das Sofa, das hab‘ ich nachträglich reingestellt, aber ich habe mir versichern lassen, dass das kompatibel war zum Rest. Genau. Jedenfalls, wenn da etwas kaputt geht, dann tausch‘ ich das halt auch eher aus – wenn ich da nämlich Hand anlege, man weiß ja nie, verstehst du? Also du würdest ja so ein lockeres Tischbein zum Beispiel locker wieder fest bekommen, aber bei mir ginge halt auch der Fernseher noch drauf, weißt du. Jedenfalls – du wirst staunen! Neulich ist einer bei mir eingebrochen, der – “

„Sag bloß? Und das bei deinem Home-Security-System? Das war doch brandneu!“

„Ja, jetzt lass mich halt erst mal erzählen, oder? Das kommt alles noch. Also, du hast ja recht, alles ganz modern, topsicher, Überwachungskameras, Selbstschussanlagen und so. Und dann steh‘ ich halt neulich in der Küche, morgens, mach mir einen Kaffee, wie man das halt so macht, lass den ziehen, und dann hör‘ ich plötzlich, wie die Küchentür ins Schloss fällt. Also, du wohnst ja auch allein, kannst du dir vorstellen, wie das ist, wie man da ganz perplex ist? Da gibt’s ja eigentlich nur einen, der diese Tür aufmacht, der ist man selbst, und dann plötzlich sowas. Perplex, das sage ich. Konnte mich gar nicht umdrehen vor Schreck, und dann höre ich noch Schritte, das heißt, da  betritt jemand meine Küche, den kenne ich gar nicht! Weil, sonst hört man das ja, an den Schritten, weißt schon, unterbewusst. Hat sich auch ein bisschen angehört wie der Karl, aber konnte ja gar nicht sein, der benutzt ja nur das Klo mit, woanders kommt der bei mir gar nicht hin. Also, ich stehe da wie meine eigene Wachsfigur, mit dem Kaffee in der Hand, nur schmilzt meine Hand nicht, bin ja doch noch ein Mensch, was? Und dann scheppert’s – aber gewaltig. Da hat es gleich die Hälfte meiner Ohrhärchen zerrissen, so laut. Und gleich noch mal, noch bevor ich herumfahren kann. Das mache ich dann aber, und mir gegenüber steht ein Typ, den ich gar nicht kenne! Ein Stereotyp, schwarzer Pulli, Sturmhaube und so. Ich konnt‘ es gar nicht fassen – ist der in mein Haus spaziert und hat meine besten Porzellanvasen vom Tisch geschlagen! Ich meine, klar, ist jetzt kein Ming-Zeug oder so, halt vom Baumarkt die Blumentöpfe, aber wieso schlägt der die vom Tisch, frag‘ ich mich. Und während ich mich das frage, steht der einfach da, läuft nicht weg oder so, hätt‘ er ja machen können, so starr, wie ich war, aber der steht da einfach und grinst mir schmutzig ins Gesicht. Ich hab‘ es einfach nicht fassen können. Und deswegen hab‘ ich auch nichts gesagt oder so. Das ging nicht, mir hat’s wirklich die Sprache verschlagen über so viel Unverschämtheit. Dann hat er irgendwann zu reden angefangen, und was der gesagt hat – einfach verrückt! Völlig unverständlich. Warte, das muss ich hier im Wortlaut wiedergeben, so abstrus ist das.
‚Ich habe Ihre wertvollen Vasen zerschlagen‘, sagt der. Ja, so viel hatte ich auch schon kapiert, vielen Dank. Jedenfalls, ‚Sie können sie nicht wieder zusammensetzen‘, stellt der dann fest, dieses Genie. ‚Aber wenn Sie hundert Euro an mich überweisen, klebe ich das wieder zusammen.‘
Und da bin ich wirklich ausgestiegen. Hat man so etwas schon gehört? Aber warte, es wird noch seltsamer. Ich, endlich wieder einigermaßen gefasst, kann auch wieder logisch denken, und da ist natürlich die erste Frage: ‚Wie zur Hölle sind Sie hier hereingekommen?‘, weil, das ist schon so eine Sache, wenn man dreißig Euro im Monat für Home Security, ja, rausschmeißt, möchte ich jetzt fast sagen. Und der antwortet, du wirst es nicht verstehen, totalen Stuss, irgendwas wie ‚Rechnung Punkt Zipp Punkt Echse‘, was weiß ich. Absolut sinnfrei. Mit dem war nicht zu reden. Ich also weiter, damit das klar ist: ‚Ich zahle Ihnen keinen Cent! Verlassen Sie mein Haus!‘, ist ja klar, oder, dass ich so einen nicht da haben will, der mir die Sachen kaputtschlägt, auch, wenn er dann anbietet, das wieder zu richten – dafür zahl‘ ich doch kein Geld, so ein Schwachsinn.“



„Na, aber dreißig Euro im Monat für Home Security, was? Da hättest du dir die Vasen 0,3 Mal zusammenkleben lassen können für. Also fast. Oder gleich neue kaufen!“

„Ja, du, weißt du, amüsier‘ dich nur. Machst dich über mein Missgeschick noch lustig. Wart nur, irgendwann spaziert dir auch so einer ins Haus, und vielleicht schlägt er dir den Schädel ein, nicht die Blumenvasen. So viel Glück, im Unglück, hatte ich dann doch. Aber ein bisschen schlimmer ist es schon gekommen. Ich hatte ja klargemacht, dass der von mir kein Geld bekommt, und das hat ihm wohl nicht gefallen, jedenfalls stellt der sich hinter meinen Tisch, weißt schon, den schönen in Fournier-Optik, grinst mich übrigens immer noch so schmutzig an, als kenne der gar keinen anderen Gesichtsausdruck, und dann wirft der den Tisch um, so richtig hundertachtzig Grad, dass es kracht. Und ich, natürlich geschockt, kann gar nichts machen, das nutzt der aus, der Schuft, und reißt mein Bücherregal um! Die ganzen Zeitschriften, ein heilloses Durcheinander, auch die guten Bücher, die schönen Brockhaus-Bände von meiner toten Großmutter, alles liegt am Boden. Ich kann wirklich nichts machen, hätte dem sonst schon eine verpasst, ein schmächtiger Kerl war das, den hätte ich einhändig rausgeworfen, am besten in die Selbstschussanlagen. Aber ich war total baff. Da ging nichts. Und dann schlägt der wirklich dem Fass den Boden aus. Der kommt zu mir, watet durch die Brockhaus-Bände, also steht vor mir, grinst so blöd und schlägt mir noch den heißen Kaffee aus der Hand. Mitten in die Bücher. Werde ich jetzt nie lesen können. Also erst wegen dem Kaffee und dann noch wegen was anderem, weil dann hat es mir wirklich gereicht. Dann  ist die ganze angestaute Fassungslosigkeit aufgebrodelt, ja, weißt du, das Fass übergelaufen gewissermaßen, obwohl er doch den Boden schon ausgeschlagen hatte, verstehst du? Dann ist mir wirklich alles geplatzt. Weil, die Küche konntest du eh vergessen, und das restliche Haus hätte der bestimmt auch noch verwüstet, und da dachte ich, jetzt reicht’s, da kommst du ihm zuvor. Ich konnte dann auch endlich wieder was unternehmen, die Beine bewegen, das hatte ich ja vor lauter Zittern nicht geschafft. Ich also vorwärts, hab‘ den Dreckskerl einfach stehen lassen, bin durch die Tür. Und tatsächlich – im Gang war auch schon alles zerlegt, und die Bilder im Treppenhaus – alle auf den Stufen zerschellt, auch das von meinem Vater, der Typ hatte schon meine ganze Wohnung verwüstet! Hatte ich echt nicht mitbekommen, genauso wenig wie, als er ins Haus kam. Sowas meldet einem dann die Home Security nicht, wahrscheinlich hat er die ja auch schon zerlegt, typisch halt. War jetzt auch egal, ich runter in den Keller. Klares Ziel: Der Gastank. Weißt du, wenn einer so viel zerstört, dann steckt das an, ich wollte den auch zerstören, aber so richtig, und um die Wohnung war es jetzt auch nicht mehr schade. Also, das habe ich ganz minutiös ausgetüftelt, ich lege eine Hanfschnur aus im Keller, so eine zum Pflanzenhochbinden, durch das Kellerfenster nach draußen, schön weit vom Haus weg. Da schütte ich dann Benzin drüber, dass die sich richtig vollsaugt. Minutiös ausgetüftelt, ich sag’s dir, sogar mein Auto habe ich dann noch aus der Garage gefahren, weil darum war’s mir dann doch zu schade. Also, ich zurück in den Keller und hau einfach die Gasleitung durch, der Tank war mir zu stabil, aber die Leitung, die ist geplatzt, und als es zu zischen anfängt, ich ganz schnell raus, man will ja nicht umkippen, was. Tja, und was jetzt kommt, kannst du dir denken, hast du bestimmt auch schon oft gemacht – ein Streichholz und die Sache war erledigt. Ist dem Kerl schön sein ganzes Chaos um die Ohren geflogen. Und ich hab‘ jetzt ein schönes, neues Grundstück, wirklich, wie neu, mit vergrößertem Kellerloch sogar. Und das bringt mich jetzt zu meiner Bitte, das wollte ich dich fragen, natürlich zahle ich das dann auch – aber du kannst mir nicht zufällig helfen, so als Architekt, ein schönes neues Haus? Du kennst dich da ja aus, das ist bestimmt kein großer Aufwand, wenn man es kann – ich meine, es muss wirklich nichts Besonderes sein, ich benutze das ja nur zum Wohnen. Nur schön wäre es, wenn du das so konstruierst, dass da zukünftig keine Vollidioten mehr einfach so reinspazieren können, und alles kaputt machen. Geht das?“