Skaphander (Kurzgeschichte)

Die Schwärze der Tiefsee muss man nicht fürchten. Alles Kinderzimmerdunkel ist furchterregender als diese Ungewissheit, die mit respektvollem Abstand um das Tauchboot schleicht, vor jeder Bewegung bereitwillig zurückweicht und nüchtern das zuvor noch geheimniskrämerisch Verborgene präsentiert. Panik oder gar Todesangst sind hier absolut nicht angebracht. Rund um das Boot herrscht taghelle Sicht. Scheinwerferlicht rauscht durch das Wasser und lässt fast seine Anwesenheit vergessen – als würde reinste Luft auf der Personenkapsel lasten. Nur die achtzig Tonnen Druck hier unten erinnern noch an das kristallklare Medium. Dickes Acrylglas und Luft halten zu meinem Schutz dagegen, wobei ich die Luft gerade veratme. Mein Sauerstoffvorrat liegt unerreichbar auf dem Ozeanboden. Vielleicht war es dämlich, den Tank abzukoppeln und damit auf eine winzige Überlebenschance zu setzen. Ganz, als würde man seine letzten Ersparnisse für Lotterietickets verschleudern. Aber wenigstens bekomme ich durch den Auftrieb noch mehr zu sehen als dieses Bakterienriff. Und vielleicht, ja vielleicht reicht es eben zur Wasseroberfläche, auch ohne Druckgas, das mir immer noch von unten entgegen rauscht. Irgendetwas lässt es in den Ozean statt in die Aufstiegstanks des Unterbaus sprudeln. Ob Leck, undichtes Ventil oder Softwarefehler – ich weiß es nicht. Damit muss man eben leben, wenn man sein Leben hochentwickelter Technik anvertraut. Ohne Tauchboot, ohne Glas, Lärm, Metall und Licht wäre ich ja auch schon längst ein zerquetschtes Etwas. Immerhin klingt mein drohender Erstickungstod im Vergleich dazu ganz angenehm. Die Vorstellung, in einer Glasblase zu entschweben, hat auf jeden Fall etwas Idyllisches. Ich kann geradezu spüren, wie die träge Ruhe der Tiefsee dabei meine Gedanken umtreibt. Oder ist das schon der Sauerstoffmangel? Bestimmt nicht.

Entspannt lehne ich mich im Kontrollsessel zurück, spiele mit den Füßen an den nutzlosen Steuerelementen herum und schiebe Todesvorstellungen in den hintersten Winkel meines Bewusstseins. Wie gesagt, es gibt eine Überlebenschance. Die Personenkapsel steigt ohne ihren Unterbau langsam, aber sicher auf. Ihr gemächliches Tempo schenkt mir nur mehr Zeit, um die Umgebung zu bestaunen – davon mache ich gerne Gebrauch. Es könnte immerhin das Letzte sein, was ich zu sehen bekomme. Eigentlich ein ganz nettes Ende, jedenfalls kein Grund zur Panik. Anspannung beschleunigt die Atmung, und viele Atemzüge habe ich nicht zu vergeuden. Also Ruhe bewahren. Was lädt auch mehr dazu ein als dieses stille Treiben weit unter den wütenden Schaumkronen, umflossen von Licht und tiefschwarzem Wasser? Allein über einem toten Bakterienriff. Schwalle von Gasbläschen rauschen aus den Karbonatschloten an meiner Kapsel vorbei, vermutlich mit einem Hauch von Druckgas versetzt.



Dort unten liegen jetzt auch meine gesammelten Boden- und Wasserproben. Ein Jammer, ich hätte gerne den Grund für das Aussterben des Riffs näher untersucht. Nicht einmal die Bakterien hier unten haben sich ihrem umkippenden Lebensraum rechtzeitig anpassen können, damit kommt eigentlich nur eine Art von Lebewesen als Verursacher infrage. Ihr nächster Vertreter schwebt gerade in einer Glasblase davon. Das Schöne an so einem Riff, eintausendvierundfünfzig Meter unter dem Meeresspiegel, ist ja die höfliche Diskretion seines Absterbens. Die vielen Organismen sind zu klein für das menschliche Auge und zu weit weg für die menschliche Aufmerksamkeit. Und dass das Sterben über verzweigte Nahrungsketten schließlich auch den eigenen Teller erwischt, kann ja niemand ahnen. Außer, er taucht einmal selber hinab und sieht Kadaver von Raubfischen durch die giftigen Tiefen treiben. Schwebt dann langsam aufwärts und beobachtet überbordende Fischkolonien, deren munteres Treiben zum Konkurrenzkampf um das wenige lebensfähige Plankton entartet. Könnte sie beobachten, wenn die Schwärme nicht längst in Schleppnetzen eingesackt und zerquetscht wären. Steigt noch weiter auf und wundert sich plötzlich nicht mehr über das Plastik im Tiefkühlfisch. Hier, fünfhundertzwanzig Meter unter der Oberfläche, treiben bereits erste Fetzen alter Tüten und Flaschen um meine Kapsel. Aus finanzieller Sicht durchaus vernünftig, den Müll hier zu entsorgen, so, wie sich mit Finanzlogik eben alles Destruktive rechtfertigen lässt. Hält man nur das Wirkungsgefüge beschränkt, kann man sich mit ihren abstrakten Gesetzen aus allem herauswinden. Aber die Tiere, die hier im tiefen Dämmerlicht um ihr Leben zucken, stecken fest in den Bierträgern und Geisternetzen, deren Verwertung zu aufwendig war, werden sich bald nicht mehr winden können. Die Taucher müssen sie mit ihren Kameras wohl immer verpassen, wenn sie ihre Dokumentationen über unsere faszinierenden Unterwasserparadiese drehen. Ist ja auch schwierig, in Milliarden Kubikkilometern Ozean ein paar Millionen sterbende Fische anzutreffen. Das toter-Fisch-zu-Wasser-Verhältnis ist einfach zu niedrig, und neben dem Fischsterben steigt ja auch der Meeresspiegel immer weiter – da ist also kein Ausgleich in Sicht. Und so muss man sich eben mit den farbenfrohen Korallenriffen und belebten Felslandschaften begnügen, die noch nicht von Säure zerfressen und verödet sind. Eine vernünftige Aufnahme würde man in Gebieten wie diesem vor lauter Abfall sowieso nicht hinbekommen. Inzwischen sehe ja ich in meinen zweihundert Metern Tiefe schon mehr Müll als Fisch im Wasser schwimmen. Wenn ich den Kopf bewege, zieht er verschwommen schimmernde Schlieren durch mein Sichtfeld. Ich muss kurz die Augen schließen.

Es dringt wie Gift in mich und vertreibt mir die letzte Atemluft. Noch weniger als hundert Meter müssen es jetzt sein. Trübes Tageslicht erhellt schon das Wasser, Flocken aus Müll und Matsch schwirren um meine Kapsel. Wann das Wasser wohl überall so ist wie hier? Lange kann es nicht mehr dauern. Dann sollen sie mal sehen, an welchem blau-gelben Badestrand sie träge ihre Bahnen ziehen. Sollen sie wehmütig ihre alten Dokus aus dem Schrank ziehen und durch die Glashaut bunte Korallenriffe begaffen. Das ist es ja – Glas, Acrylglas, Aquariumglas, Display-Glas, Taucherbrillenglas, Glas gegen die dreckige, saure Realität. Es rauscht in meinem Kopf und in der Ferne grollt ein Motorschiff. Brauner Schaum rinnt meine Glaskapsel hinab, verwäscht den Himmel in ultramarinblau das Wasser buntbleich vom Müll. Bald werden sie die Kapsel aus dem Wasser, und mich aus der Kapsel den Notizblock aus meiner Hand gezogen haben und nur ihre Schlüsse werden sie nicht ziehen wenn ich sage ich hätte unten bleiben denn einmal oben ist es Glas und unbedeutend bis sie daran verre