Abstruse Geschichten und Charaktere begegnen uns nicht nur in Fantasy-Romanen. Nehmen wir doch den Hundertjährigen, der aus dem Fenster springt und mit seinen alten Knochen noch eine aberwitzige Weltreise überlebt. Oder den hypergelehrten Doktor, der Erdgeister beschwört und Teufelspakte schließt, weil ihm irgendwie langweilig ist. Das Schöne an Literatur ist eben, dass die Frage „Was wäre, wenn?“ keine dummen Antworten kennt. Nur zu kurz geratene.
Angenommen, deine Hauptfigur soll plötzlich eine Wand hochlaufen. Vollkommen in Ordnung! Du musst nur die Frage „Was wäre, wenn meine Figur jetzt diese Wand hochlaufen würde?“ konsequent zu Ende denken (und schreiben). Wäre sie selbst überrascht? Wie würde sich der erste Schritt anfühlen? Was würden Umstehende sagen? Würde sich darin eine tiefere Bedeutung offenbaren? Könnte sie die Fähigkeit „zufällig“ vor zehn Seiten erworben haben? Wäre es Magie? Technologie? Göttliche Fügung? Absurdität der Existenz? Alles Fragen, die einem Leser durch den Kopf gehen könnten. Je mehr davon sich im Textfluss klären, desto mehr Glaube (oder wenigstens Akzeptanzbereitschaft) kannst du erzeugen. Wenn Kafka mit einem riesigen Insekt davonkommt, wird deine Idee ja wohl zu rechtfertigen sein.
Einen großen Vorzug hat das Schreiben: Man kann die Vorgeschichte nach Belieben ändern. Bestimmt hast du beim Lesen schon mal Textstellen entdeckt, bei denen alles wie die Faust aufs Auge passt (sie sollen sich vor allem in Krimis tummeln). Irgendwelche beiläufig eingesteckten Gegenstände verhelfen unverhofft zur Rettung, eine Pistole ist im entscheidenden Moment nicht mehr schussfähig, weil der Schütze ein paar Seiten zuvor ins Wasser gefallen ist, usw.
Ich möchte wetten, dass kein Autor solche Plot Twists anlegt, bevor er sich nicht in die dramaturgische Sackgasse geschrieben hat. Wenn doch, ist es wohl glücklicher Zufall („Warte… Hatte der nicht seinen Geldbeutel eingesteckt? Kreditkarten sind bestimmt auch nette Schraubenzieher.“)
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